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DER SPIEGEL: Akute Gefährdung des Afrikanischen Wildhundes

Der Afrikanische Wildhund, gerühmt wegen seines Jagderfolgs, ist vom Aussterben bedroht. Der hier wiedergegebene Beitrag erschien unter dem Originaltitel Freundliche Killer in der Ausgabe 4/1997 von DER SPIEGEL.

 

 

DER SPIEGEL: Akute Gefährdung des Afrikanischen Wildhundes

Mit kühnem Sprung aus vollem Lauf schlug der Jäger seine Fänge in die Nase der Gazelle. Geschockt blieb das Tier stehen.

 

Die heranstürmende Meute näherte sich von unten, fetzte sekundenschnell den weichen Gazellenbauch auf, die Eingeweide plumpsten auf den Savannenboden. Eine Viertelstunde später hatte das Rudel Wildhunde die Beute zerrissen und kurz darauf vertilgt. Übrig blieben ein paar abgenagte Knochen und ein Ballen Gras aus dem Gazellenmagen.

 

Einst war die pfeilgeschwinde Caniden-Art Lycaon pictus (angemalter Wolf) in allen Ländern Afrikas südlich der Sahara heimisch. Rudel aus bis zu 50 und mehr Tieren jagten in den Steppen Südafrikas, am Massiv des Kilimandscharo und in den Savannen des Senegal.

 

Mittlerweile ist der in den Farben Schwarzbraun, Weiß und Senf gescheckte Wildhund das vom Aussterben am stärksten bedrohte Raubtier Afrikas. Der Bestand ist auf knapp 5 000 Hunde gesunken. „So schnell wie der Afrikanische Wildhund seine Beute erlegt und verschlingt, so rasch verringert sich die Anzahl dieser Tiere", konstatierte der New Scientist.

 

Gesichtet wurden einige kleine Rudel in Kopfstärken von etwa einem Dutzend Tieren in nur noch 15 (von ehedem 34) afrikanischen Staaten. In neun von ihnen schrumpfte der Bestand auf weniger als 100 Wildhunde. Weltweit steht der kurzschnauzige Steppenläufer mit den trichtergroßen Ohren nach dem Rhinozeros in der „Roten Liste" gefährdeter Tierarten an zweiter Stelle.

 

Die Schuld an der Dezimierung des Bestands trägt der einzige natürliche Feind des Wildhundes, der Mensch. Bei Farmern, Wildhütern und Jägern stand das Tier im Ruf eines grausamen und gnadenlosen Killers, der zum „Ungeziefer" degradiert und, wann immer in Schußnähe, abgeknallt wurde.

 

An der Korrektur des abträglichen Leumunds wirken derzeit einige Gruppen von Biologen mit, die im Auftrag von Zoos, Universitäten und Artenschutzgruppen das Rudelverhalten, die Jagdstrategien und die Lebensbedingungen des Afrikanischen Wildhundes erkunden.

 

Kaum ein anderes afrikanisches Raubtier ist spärlicher erforscht als der Wildhund, der mal als Kap-Jagdhund, mal als Hyänenhund in der Fachliteratur auftaucht; etlichen Biologen ist er ganz unbekannt. „Sie vermuten, es handle sich um verwilderte Haushunde", sagt der amerikanische Forscher Scott Creel von der New Yorker Rockefeller University, der gemeinsam mit seiner Frau Nancy im tansanischen Selous-Reservat die dort lebenden Rudel beobachtet – ein zeitaufwendiges Unternehmen.

 

Besonders schwierig ist es, die Tiere aufzuspüren, noch schwieriger, sie zu verfolgen. Fünf Monate benötigte das Forscherpaar Creels, ehe es gelang, einen einzigen Wildhund mit dem Narkosegewehr zu betäuben und ihm ein Halsband mit Radiosender anzulegen. Per Funkpeilung konnten die Forscher sodann die ausgedehnte Größe des Jagdreviers vermessen. Das Wildhundrudel bestrich eine Fläche von über 400 Quadratkilometern, so groß wie das Bundesland Bremen. Hyänen etwa geben sich mit weniger als einem Zehntel davon als Jagdareal zufrieden.

 

Kein anderes afrikanisches Raubtier jagt effizienter als der Wildhund. Während beispielsweise Löwinnen nur jeden zehnten Versuch mit einem Kill beenden, führt bei ihnen jeder zweite Jagdanlauf zum Ziel.

 

Das Geheimnis ihres Erfolges ist einerseits die Geschwindigkeit, mit der sie über die Savanne huschen. Die hochbeinigen (Schulterhöhe: durchschnittlich 70 Zentimeter) und knapp 30 Kilogramm schweren Tiere hetzen ihre Beute bis zu deren Erschöpfung. Auf ihrer oft kilometerlangen Hatz erreichen die Rudel Spitzengeschwindigkeiten von über 50 Stundenkilometern.

 

Mitentscheidend für den Jagderfolg und damit den Bestand des Rudels sind aber auch ein ausgeprägtes Sozialverhalten und eine hochentwickelte Kommunikation. Steht ein Tier aus einem ruhenden Rudel auf, stupst es die Artgenossen mit der Nase und fordert sie mit vogelähnlichem Zwitschern zum Aufbruch. Auch während der Jagd hält das Rudel Kontakt, dazu dienen verschiedene Laute und ein strenger Körpergeruch.

 

Die Töne umfassen ein erstaunliches Spektrum. Die Wildhunde miauen wie Katzen, heulen, winseln und grummeln wie Haushunde oder zirpen auf Frequenzen, die das menschliche Ohr nicht mehr wahrnehmen kann.

 

Die für ein Raubtier ungewöhnlich großen Ohren, die Wildhundexperten mitunter als Satellitenschüsseln im Kleinformat beschreiben, unterstützen den Empfang aller Tonlagen.

 

Straff und altruistisch organisiert ist das Leben im Rudel. Für den Nachwuchs zuständig sind der Leitrüde und ein einziges Alpha-Weibchen. Aufgezogen und ernährt werden die Welpen gemeinschaftlich vom ganzen Rudel.

 

Die Jungtiere kommen häufig in Höhlen zur Welt, aus denen zuvor andere Tiere, etwa Warzenschweine, vertrieben wurden. Während das Rudel jagt, werden die Jungen von erwachsenen Tieren bewacht. Gesäugt werden sie häufig von mehreren weiblichen Tieren. Feste Nahrung erhalten die Jungtiere von den zurückgekehrten Jägern, die einen Teil ihres Fraßes herauswürgen. Auf diese Weise werden auch die Babysitter oder kranke Tiere versorgt.

 

Im Verlauf der Evolution, die vor drei Millionen Jahren mit der Abzweigung vom Urwolf begann, kam dem Afrikanischen Wildhund eine von fünf Vorderzehen abhanden, die für Wölfe, Haushunde und andere Caniden bis heute typisch sind.

 

Zugleich aber entwickelte die Spezies Eigenschaften, die ihr den Ruf des wahrscheinlich sozialsten aller Säugetiere einbrachte. Bei ihren Wildhundstudien im simbabwischen Hwange National Park fanden die US-Biologin Kim McCreery und ihr Ehemann Bob Robbins, daß Afrikanische Wildhunde sich gegenseitig respektieren und ihnen im Spiel und im Leben fast jede Aggressivität fehlt.

 

Streit und Kampf mit anderen Tieren im Rudel werden vermieden. McCreery: „Sie fletschen nicht einmal die Zähne gegeneinander."

 

 

 

Mit freundlicher Genehmigung von: © Der Spiegel, 1997, H. 4, S. 190/191.

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